Abends durch Bad Godesberg nur noch mit Pfefferspray

Von Hildegard Stausberg | Stand: 14:33 Uhr | Lesedauer: 2 Minuten

Im Fall des zu Tode geprügelten Schülers Niklas hat das Landgericht Bonn den Angeklagten freigesprochen. Dem 21-Jährigen konnte nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, Niklas in der Tatnacht geschlagen zu haben.

Wie sich die Zeiten ändern: Wo vor der Wende Botschaftergattinnen shoppten, sieht man heute schwarz vermummte Damen. Aus dem Ort ist ein Magnet für Menschen aus dem arabischen Raum geworden.

Es gibt Veränderungen, die kommen schleichend daher. Irgendwann sind sie einfach da. Im Nachhinein fragt man sich, wie alles so kommen konnte – und ob es so kommen musste.

Das erleben zurzeit Freunde von mir in Bonn-Mehlem, früher ein kleines Fischerdorf, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein eleganter Kurort in der Nähe von Bad Godesberg. Als sie ihr Reihenhaus kauften, waren Bundesregierung und Bundestag in Bonn. Im benachbarten Godesberg residierten Botschaften und wichtige Verbände.

Wer eine Immobilie dort erwerben konnte, schätzte sich glücklich – ihr Wertzuwachs schien programmiert. Dann fiel die Mauer, und der Umzug nach Berlin wurde vorbereitet. 1995 öffnete am Rhein die vom saudischen Königshaus finanzierte König-Fahd-Akademie ihre Pforten. Es hieß damals, durch sie solle der „Clash of Civilisations“ bekämpft oder zumindest abgemildert werden.

Es kam anders: Die Akademie wurde zum Mekka für Anhänger des strengen saudischen, also wahabitischen Islam. Dadurch änderte sich in weniger als einer Generation das Bild Bad Godesbergs: Wo früher Botschaftergattinnen shoppten, gehen nun schwarz vermummte Damen mit großer Kinderschar spazieren. Im letztem Jahr wurde die Akademie zwar geschlossen, aber die Stadt bleibt ein Magnet für Immigranten aus dem arabischen Raum.

Hilfloser Rechtsstaat

Die Menschen, die seit Jahrzehnten dort leben, spüren besonders, wie sich ihre Stadt verändert hat. Dazu gehört vor allem eine Unsicherheit, die es dort so nie gab. Meine Freunde etwa, Mitte sechzig und noch sehr rüstig, empfinden das stark.

Seit Jahrzehnten gehört für sie zum Tagesausklang der Spaziergang am Rhein entlang. Dabei müssen sie durch eine Unterführung der B 9. Längst umgehen sie die weitläufig; bei beginnender Abenddämmerung tragen beide Pfefferspray in der Tasche.

Allein würde meine Freundin abends ein paar „heikle Gegenden“ in Bad Godesberg sowieso ausklammern, die allbekannten No-go-Areas. Und der Fall Niklas hat die Stimmung nicht gerade verbessert: Das Verfahren zum Tod des 17 Jahre alten Schülers im Mai 2016 wurde jetzt mit einem Freispruch für den vorbestraften, gewalttätigen 21 Jahre alten Hauptangeklagten Walid S. beendet.

Meine Freundin meint, das „Aktionsbündnis für ein lebenswertes Godesberg“ habe recht, wenn es von einem „fatalen Signal“ spricht und die Hilflosigkeit des deutschen Rechtsstaats angesichts der Macht der die Szene beherrschenden Klans beklagt. Gerade das mache ihr als Frau Angst. Besserung sieht sie nicht und zum Wegziehen sei sie zu alt.


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Richter sieht keine schwere Gewalt

Am kommenden Sonntag wird es ein Jahr her sein, dass der 17-jährige Niklas nach einem Faustschlag und einem Fußtritt ins Gesicht gestorben war. Kunkel schilderte noch einmal die Tat, so wie sie durch die Zeugenaussagen rekonstruiert werden konnte. Niklas, seine Schwester, sein bester Freund Ibrahim und eine andere Freundin steigen im Zentrum von Bad Godesberg aus dem Bus. Die Mädchen wollen nach Hause, die Jungs müssen noch umsteigen.

Die Mädchen wollen nicht direkt am Rondell vorbeigehen, weil dort eine Gruppe junger Männer herumlungert und nehmen einen kleinen Umweg. Niklas und Ibrahim gehen jedoch direkt an der Gruppe vorbei.

"Kommt her, sonst ficke ich Euch", soll einer aus der Gruppe gerufen haben. Niklas soll sich umgedreht und gefragt haben, was das Problem sei. Ein anderer aus der Gruppe sei auf Niklas zugegangen. Richter Kunkel nennt ihn "Täter 3" oder "T3". Er soll den 17-Jährigen in ein Gespräch verwickelt und dann mit einem Fausthieb auf die rechte Schläfe bewusstlos geschlagen haben. Danach soll der junge Mann noch gegen den Kopf getreten haben.

Arterie im Kopf des Opfers war vorgeschädigt

Doch es ließ sich nicht vor Gericht darlegen, dass der angeklagte Walid S. der ominöse „T3“ gewesen ist. „Wir können nicht beweisen, dass er geschlagen hat. Wir können auch nicht beweisen, dass er am Tatort war. Es gibt sogar einige Anhaltspunkte, dass er gar nicht am Tatort war“, betont Kunkel.

Der Vorsitzende Richter beschrieb den Hauptbelastungszeugen Ibrahim B., der in der Tatnacht mit Niklas unterwegs gewesen sei, als seriös und gewissenhaft. Er habe nach bestem Wissen und Gewissen ausgesagt. doch sei seine Identifizierung von Walid S. bei der Polizei und vor Gericht nicht belastbar. Die Wiedererkennung eines Täters durch Zeugen gelte in der Rechtsprechung als besonders "fehleranfällig". Zudem habe B. unter besonderem persönlichen Druck gestanden, einen Täter zu finden, erläutert der Vorsitzende Richter.

Zeugen schweigen aus "Ehrgefühl"

Ein großes Problem im Prozess war das Verhalten vieler anderer Zeugen aus der Tatnacht. Staatsanwalt und Verteidiger beklagten, dass einige genau wüssten, was wirklich passiert sei, dass sie aber aus einem falschen „Ehrgefühl“ geschwiegen hatten. Auch der Anwalt von Niklas’ Mutter Denise P. geht auf das niederträchtige Schweigen und Lügen einiger Zeugen ein.

Sie hätten "in unerträglicher Weise die Wahrheitsfindung verhindert". "Das ist für jeden aufrecht Denkenden ein Schlag ins Gesicht", sagt Anwalt Düber. Seine Mandantin sei "durch die Hölle gegangen".

Ein weiterer kaum auszuhaltender Aspekt waren die „Ermittlungsdefizite“. Der Anwalt der Mutter erinnerte an die Zeugenaussagen des Einsatzleiters. Demnach sei eine zeitnahe Nahbereichsfahndung wegen Personalmangels nicht möglich gewesen. Zudem konnte der Tatort erst fünf bis sechs Stunden nach der Tat untersucht werden.

Mehr Polizisten in Bad Godesberg unterwegs

Der Prozess gegen den mitangeklagten Roman W. wurde abgetrennt und soll fortgesetzt werden. Er soll der „Täter 2“ in der Nacht gewesen sein, als Niklas starb. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Staatsanwaltschaft Bonn vielleicht einen neuen Prozess gegen einen anderen möglichen Tatverdächtigen anstrengt, der im Prozess zur Sprache kam. Aber auch da dürfte die Beweisführung ähnlich problematisch sein.

Bürger aus Bad Godesberg hatten vor einem Freispruch gewarnt, weil dies die Spannungen im ehemaligen Diplomatenviertel verstärken könnte. Das „Aktionsbündnis für ein lebenswertes Bad Godesberg“, das unter anderem Sicherheitsprobleme im Stadtteil anprangert, sprach von einem „fatalen Signal“, das das Gericht aussende. „Denn wenn der Clan, die Bande oder die ‚Familie‘ nur fest genug zusammenhält, kann (oder will) der deutsche Rechtsstaat nichts dagegen unternehmen“, beklagt das Bürgerbündnis.

Einige hegten die Hoffnung in Bad Godesberg, dass der Schuldige überführt und verurteilt wird. Für sie ist es nur ein schwacher Trost, dass seit Niklas’ Tod mehr Polizisten im Stadtteil unterwegs sind, um zu verhindern, dass so etwas noch einmal passiert.


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